Vipassana-Kurs – Teil 1

Hier war es in letzter Zeit leider sehr still auf dem Blog. Unser Sommer war turbulent und ich kam einfach nicht zum Schreiben. Wenn ab September die Kinder wieder in die Schule/Kindergarten gehen, werde ich hoffentlich mehr Zeit finden.

Heute gibt es mal einen Off-Topic-Artikel über den Meditationskurs, den ich Anfang August besucht habe. So einen Kurs kann man zwar in der Schwangerschaft besuchen, aber er wird wohl nur für die Wenigsten in dieser Zeit in Frage kommen. Meditation halte ich dennoch für ein wichtiges Thema auch in Hinsicht auf Schwangerschaft und Geburt, so dass es vielleicht doch nicht ganz off-topic ist.

Ich versuche, die Methode und die Theorie dahinter so gut wie es mir möglich ist zu erklären, bin aber natürlich selbst noch Änfanger auf dem Gebiet. Wer sich besser auskennt und einen Fehler findet, darf gern kommentieren :) Wen die Theorie sehr interessiert und wer sie wirklich in der Tiefe verstehen will, dem sei das Buch „Die Kunst des Lebens“ von William Hart ans Herz gelegt.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen.

Der Mediationskurs, den ich besucht habe ging über zehn Tage. Durchgeführt wird er entweder in extra dafür erbauten Zentren oder in angemieteten Räumen. Ich war in England im Zentrum Dhamma Dipa, aber auch in Deutschland und fast jedem anderen Europäischen Land (und weltweit) gibt es Zentren, die Vipassana-Mediation nach S.N. Goenka lehren.

Eigentlich werden drei verschiedene Methoden gelehrt: Anapana-Meditation, Vipassana-Meditation und Metta-Meditation, wobei Vipassana quasi die Hauptmethode ist.

Eine weitere Besonderheit: Man hält über neun Tage eine edle Stille („noble Silence“) ein. Das bedeutet, dass man weder redet noch mit Gesten oder Körperkontakt kommuniziert. Das ist zum einen sehr angenehm, weil man nicht gezwungen ist ständig Smalltalk mit den anderen zu machen und weil es wirklich schön leise ist, zum anderen aber auch sehr komisch wenn alle mit gesengtem Kopf zum Essen gehen und ins Leere starren. Man kann sich nicht bedanken, nicht entschuldigen, nichts. Mit den Managern (selber Schüler, die den Kurs aber schon abgeschlossen haben und nun Freiwilligenarbeit leisten) darf man reden wenn man organisatorische Probleme hat, mit der Lehrerin um Fragen zu stellen. Ansonsten schweigt man bis zum Vormittag des zehnten Tages, wenn das Schweigen gebrochen wird.

Männer und Frauen sind auf dem Gelände strikt getrennt, die Männer sieht man nur ein der Meditationshalle, wo sie auf der anderen Seite sitzen.

Man wird im Zentrum vollverpflegt (vegan/vegetarisch) und es gibt drei Mahlzeiten: Frühstück, Mittag und nachmittags Tee mit ein wenig Obst für alle neuen Schüler, für die den Kurs ein zweites oder drittes Mal machen gibt es  nachmittags nur Saft oder Zitronenwasser.

Der ideologische Überbau und die Semantik sind aus dem Buddhismus entlehnt, die Methode an sich ist aber strikt an Körperempfindungen orientert und erfordert überhaupt keinen „Glauben“ (Buddhismus hat ja eh wenig mit blindem Glauben zu tun, sondern damit, dass man die Erfahrungen selbst macht, den Buddha in sich selbst findet). Die Methode ist also für Angehörige aller Religionen und auch für Atheisten wie mich geeignet.

Man erlernt zunächst die Anapana-Technik, um den Geist zu konzentrieren. Dabei beobachtet man den natürlichen Fluss des Atems und die Empfindungen die dabei in der Nase und später zwischen Mund und Nase auftreten. Am vierten Tag (also nach 3 1/2 Tagen Konzentration auf den Atem) lernt man schließlich die Vipassana-Methode. Bei dieser beobachtet man systematisch die Empfindungen in allen Bereichen des Körpers.

Was ist Vipassana?

Vipassana bedeutet übersetzt so viel wie tiefes Schauen/Betrachten. Man soll  die Dinge so betrachten und wahrnehmen wie sie wirklich sind. Moment mal! Ich sehe doch alles klar vor meinen Augen, oder? Wieso muss ich dafür meditieren? Uns ist oft gar nicht bewusst, wie verzerrt wir die wirklichkeit geprägt durch unsere eigenen Erfahrungen und Denkmuster wahrnehmen. Kaum einer kann die Dinge wirklich so sehen wie sie sind.

Wir spüren den ganzen Tag bewusst und unbewusst Empfindungen im Körper. Der bewusste Teil des Geistes nimmt davon aber nur einen Bruchteil wahr, die Empfindungen die stark genug sind. Alle subtileren Empfindungen werden unterbewusst aber sehr wohl registriert, auch wenn wir es nicht merken. Ohne dass wir es mitbekommen oder steuern könnten, laufen in jeder Sekunde tausende Prozesse in unserem Körper ab. Ein Ziel der Methode ist es, die Barierre, die es zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein gibt geringer zu machen bzw. ganz abzubauen, so dass man sich der gegenwärtigen Empfindungen im Körper bewusst ist.

Damit verbunden ist ein weiteres Ziel: viel zu oft sind wir mit unseren Gedanken nicht im gegenwärtigen Moment, oder noch schlimmer: wir bekämpfen ihn innerlich sogar. Wir sind nicht zufrieden mit dem was gerade ist, wir wünschen uns, die nächste Minute, Stunde, Woche sei schon rum, wünschen uns das nächste Wochenende, den nächsten Urlaub herbei. So viel Zeit verschwenden wir damit zu warten, dass es endlich Ereignis XY eintreten möge. Und wenn es dann da ist, klammern wir uns daran und versuchen es festzuhalten, obwohl es unmöglich ist. Jeden Tag in unserem Leben passieren verschiedene kleinere und größere Ereignisse: von uns gewollte, aber viel öfter treffen ungewollte Ereignisse ein oder aber gewollte Ereignisse bleiben aus. Wer versucht, alles unangenehme aus seinem Leben zu verbannen, muss einfach scheitern. Wir merken gar nicht, was wir uns damit antun. Die Methode hilft dabei, den gegenwärtigen Moment tief zu erfahren und zu genießen ohne ihn abzulehnen oder an ihm anzuhaften.

Wenn wir eine Sinneserfahrung haben, egal ob sehen, fühlen, hören – und laut Buddhismus gehört auch der Geist dazu mit dem wir Gedanken wahrnehmen können – gibt es vier verschiedene Stadien:

  1. das Bewusstsein erfasst eine bestimmte Sinneswahrnehmung
  2. die Wahrnehmung wird erkannt und bewertet
  3. es wird ein entsprechendes Gefühl erzeugt
  4. es wird ein Gedanke erzeugt aus dem auch eine mündliche oder Körperliche Handlung hervor gehen kann.

Durch diesen Bewertungsmechanismus entsteht ständiges Anhaften oder Ablehnen. Ein Besipiel: Ich höre –> ich erkenne: Musik. Da ich gerade auf einer Party bin bewertet mein Geist: gut –> ich bekomme ein angenehmes Gefühl im Körper (oft nimmt man das bewusst nicht wahr) –> Ich möchte mehr Musik, wenn sie in diesem Moment jemand ausschalten würde, würde ich ich ärgerlich, wütend, ich würde es jedenfalls ablehnen –> Leid entsteht.

Andersherum: Ich höre –> ich erkenne: Musik (den gleichen Song). Ich bin aber gerade im Bett, will schlafen und die Musik dröhnt von den Nachbarn herüber, die eine Party feiern –> ich bekomme ein unangenehmes Gefühl im Körper –> Ich lehne die Musik ab, mache mir Gedanken weil ich morgen ein wichtiges Meeting habe, ich werde ärgerlich auf meine ignoranten Nachbarn –> ich leide.

Beidesmal ist es der selbe Song, Musik, die gleiche Sinneswahrnehmung –  eigentlich neutral. Aber durch unsere Bewertungen und das Anhaften und Ablehnen entsteht Leiden. Im Kleinen (mir kippt der Kaffee um und ich ärgere mich, die Kinder schreien viel zu laut) wie im Großen (wir erleiden einen Verlust) Durch dieses Leiden „verknotet“ sich der Geist, so dass er sich immer mehr und mehr in seinen konditionierten Mustern verstrickt. Der Geist wird „unrein“.

Die Meditationstechnik ist erstaunlich simpel: Während der Meditation werden mit geschlossenen Augen alle Körperteile ganz bewusst wahrgenommen und die jeweiligen auftretenden Empfindungen gespürt. Bei der Meditation trainiert man nun, alle Erfahrungen (auch Schmerzen, die natürlich auftreten wenn man sich nicht bewegt) neutral und gleichmütig zu betrachten und nicht auf sie zu reagieren. Wenn mir also irgendwann die Nase juckt, kann ich die Empfindung betrachten, soll aber nicht kratzen. Gehe ich tief in die Empfindung hinein und bleibe dabei gleichmütig, werde ich sehen, dass sie irgendwann wieder verschwindet. Oder hat schon mal jemandem bis ans Ende seines Lebens die Nase gejuckt? ;)

Den Gleichmut erreicht man durch drei tiefe Einsichten:

Anicca (gesprochen Annitscha): Die Einsicht dass nichts auf der Ebene von Geist oder Materie permanent ist. Alles ist in ständigem Fluss. Ob es Gefühle, Emfpindungen, der Körper, materielle Dinge um einen herum sind. Nichts ist für die Ewigkeit. Wieso sollte man an etwas anhaften oder es ablehnen, was so vergänglich ist. Wieso macht man sein Seelenheil davon abhängig, das etwas unbeständiges gerade da oder nicht da ist? Im Äußeren so wie im Inneren?

Anatta: Also nicht-Ich. Das ist vielleicht das, was für jemanden der noch nie damit in Berührung gekommen ist das Schwerste zu akzeptieren (es ist auch für den Anfang nicht unbedingt nötig würde ich sagen). Der Buddhismus und verschiedene andere Lehren sagen, dass das Ich, welches wir normalerweise für so unveränderlich halten, überhaupt nicht existiert. Es existieren nur Sinneswahrnehmungen (und Gedanken), aber das Ich, das Ego, dieses kleine Männlein was da in uns allen sitzt und beleidigt, eifersüchtig, ärgerlich wird, und immer nur an sich denkt und mehr und mehr will, das gibt es eigentlich nicht. (Wenn man sich einmal hinsetzt und sich innerlich auf die Suche nach dem Ich begibt, dann wird man feststellen, dass es tatsächlich nicht zu finden ist.) Wenn es also kein Ich gibt, das den Schmerz, die Emfpindung sein Eigen nennt, dann kann man gleichmütig ihm gegenüber sein.

Dhukka: Die dritte Einsicht ist die vom universellen Leiden, jeder der Lebt leidet. Es gibt niemanden, der am Leben ist und noch nie gelitten hat. Und Leiden entsteht, wie schon gesagt, immer durch Ablehnung und damit verbundenem Hass/Zorn/Ärger oder Anhaften und damit verbundenen Verlangen oder aber durch Unwissenheit. Beseitigt man Ablehnung und Anhaftung und hat tiefe Einsichten in alle Prozesse und beseitigt damit die Unwissenheit, befreit man sich vom Leiden. Dazu benötigt man Gleichmut. Gleichmut immer in Bezug auf Sinneswahrnehmungen, niemals auf andere Personen bezogen, denn wie alle Religionen lehrt der Buddhismus ein tiefes Mitgefühl mit anderen Menschen.

Durch Gleichmut während der Meditation wird der bewusste und gleichzeitig auch der unterbewusste Teil des Geistes so de-konditioniert, dass er allen Sinnes-Empfindungen gleichmütig gegenüber wird. Wenn also unangenehme Erfahrungen kommen, entsteht kein Ablehnen, kein Leiden mehr. Angenehme Erfahrungen kann man genießen, ohne sich aber an sie zu klammern. Ohne Anhaften und Verlangen und damit verbundenes Leiden. Das Problem ist, dass reiner Glauben daran oder reines intelektuelles Verstehen nicht ausreichend ist um die oben beschriebenen Dinge in sein Leben einzubauen. Dafür braucht man die Meditation und dafür braucht man auch wirklich die zehn Tage Zeit um sich wirklich darauf einzulassen.

Im nächsten Teil in ein paar Tagen gibt es dann meinen persönlichen Erfahrungsbericht.

 

 

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