Geheimnisse einer schmerzarmen Geburt: #4 Entspannung

Woran liegt es nur, dass Geburten so schmerzhaft sind? Ich habe mich das oft, sehr oft, gefragt. Ich habe damit gehadert und war verzweifelt, zum Beispiel als ich nach meiner ersten sehr schlimmen Geburt wieder schwanger war und wusste was mir nun in neun Monaten vermeintlich unausweichlich bevorstand. Wieso ist Geburt so ein traumatisches schmerzerfülltes Ereignis für so viele Frauen. Wieso war es das für mich?

Rückblickend betrachtet habe ich bei meiner ersten Geburt (unter anderem) eine grundlegende Sache „falsch gemacht“ (einfach weil ich es nicht besser wusste): Ich war absolut panisch und angespannt, vor allem auf Grund der immer schlimmer werdenen Schmerzen. Nicht nur mein Körper hat sich in Erwartung der nächsten anrollenden Wehe total verkrampft (à la „Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch“), auch mein Geist („Ich will nicht! Nicht schon wieder!“) war total verkrampft und kämpfte gegen die Situation an.

Für eine schmerzarme Geburt braucht man Entspannung auf zwei Ebenen: geistig und körperlich. Man muss seine Muskeln locker lassen und den Verstand soweit abschalten, dass er nicht alles kommentiert, negativ und angstvoll bewertet und sich gegen die Situation auflehnt.

Atmung ist entscheidend für die Entspannung. Wer hyperventiliert kann sich nicht entspannen. Welche Atemtechniken es für die Geburt gibt kannst du hier lesen. Die Fokussierung des Geistes auf die Atmung hat außerdem den Vorteil, dass Dein Geist vom Nachdenken abgelenkt ist. So kannst Du Dich gut auf Deinen „Geburtsplaneten“ zurück ziehen, Deine eigene Welt, in die Du vor allem während einer Kontraktion abtauchen kannst.

Entspannungsmusik wurde in einigen Studien mit deutlich weniger Schmerzen in Zusammenhang gebracht [1, 2]. Ruhige (für manche Mütter vielleicht auch nicht ganz so ruhige ;) ) und vertraute Musik entspannt Deinen Geist und bewirkt damit auch, dass Dein Körper sich entspannt.

Eine weitere gute Möglichkeit um zu entspannen ist ins Wasser zu gehen. Jeder weiß, wie gut warmes Wasser oder ein Kirschkernkissen während der Periode bei Krämpfen oder bei einer verspannten Schulter hilft. Da kann man sich gut vorstellen, dass es bei der Geburt auch die Entspannung fördert und Schmerzen lindert. Im Wasser entspannt sich der gesamte Körper. Man kann alle Muskeln locker lassen, weil das Wasser den Körper trägt. Gebärende, die ihr Kind im Wasser bekommen nehmen weniger PDAs in Anspruch und berichten von deutlich weniger Schmerzen [3]. Sicher ist eine Wassergeburt nicht für jede Gebärende geeignet, einig Frauen fühlen sich im Wasser auch absolut nicht wohl; da sollte man auf die eigene Intuition vertrauen.

Natürlich kann man auch Selbsthypnosetechniken während der Geburt anwenden, in einigen Studien zeigen diese gut Erfolge: Gebärende nehmen seltener Schmerzmittel in Anspruch und bewerten danach ihre Schmerzen weniger schlimm wenn sie Selbsthypnose angewendet haben  [4,5]. Man sollte die Hypnose zuvor in der Schwangerschaft in jedem Fall geübt haben. Jede Entspannungstechnik sollte im Vorfeld geübt werden, schon in der Schwangerschaft, so dass man dann in einem so außergewöhnlichen Moment wie der Geburt nicht die Nerven verliert.

Doch wozu das alles? Wieso ist Entspannung so wichtig für eine einfachere, schnellere und vor allem schmerzärmere Geburt?

Dass verspannte, verkrampfte Muskeln weh tun, hat jeder schon mal erlebt. Aber Muskeln, die ihre normale Funktion ausüben, erzeugen normalerweise keine Schmerzen. Nur die Muskeln der Gebärmutter, so scheint es, machen da eine Ausnahme.

Machen wir einen kurzen Anatomie-Exkurs: Die Muskelschicht (das sog. Myometrium) der Gebärmutter besteht aus drei Schichten: einer äußeren Muskelschicht, deren Muskeln von oben nach unten verlaufen (also vertikal), einer mittleren Schicht mit ungeordneten Muskeln und relativ vielen Blutgefäßen und einer inneren Schicht mit ringförmigen waagerecht angeordneten Muskeln.

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Die Muskelbewegungen der Gebärmutter können wir nicht willentlich steuern, wie etwa unsere Skelettmuskeln, sie werden vom vegetativen Nervensystem gesteuert (wie zum Beispiel auch der Darm). Dieses Nervensystem hat einfach gesagt zwei „Zustände“ oder Nerventypen: einen angespannten, den Sympathikus, und einen entspannten, den Parasympathikus. Der Sympathikus wird bei Gefahr aktiviert. Er sorgt dafür, dass für die Flucht wichtige Organe bevorzugt mit Blut versorgt werden, unser Blutdruck steigt. Der Parasympathikus ist aktiv wenn wir uns entspannen, er ermöglicht zum Beispiel Verdauungsarbeit und Regeneration.

Während einer entspannten Geburt (der Parasympathikus ist aktiv) ziehen sich die vertikal gerichteten Muskeln der äußeren Schicht zusammen, verkürzen sich also, und schieben so das Baby nach außen. Die mittlere Schicht ist entspannt, die Blutgefäße in ihr geweitet, so dass die Muskeln ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden können. Die innere Muskelschicht muss entspannt sein. Während der Schwangerschaft halten die Ringmuskeln, die besonders dicht beieinander am Gebärmutterhals (also der Cervix) sind, das Baby in der Gebärmutter. Soll das Baby heraus, müssen sich diese Ringmuskeln entspannen, so dass sich der Muttermund öffnen kann.

Gerät die Mutter während der Geburt in Gefahr, ist es evolutionär gesehen sinnvoll, dass die Kontraktionen aufhören und der Muttermund sich schließt/geschlossen bleibt. Die Blutgefäße, die die Gebärmutter versorgen, werden zusammengezogen, so dass für die Flucht oder Abwehr wichtigere Organe bevorzugt mit Blut und Sauerstoff versorgt werden können.

Leider unterscheidet unser Körper nicht zwischen tatsächlicher objektiver und erlebter subjektiver Gefahr, der Sympathikus wird unwillkürlich aktiviert. Er weiß auch nicht, dass wir uns nicht mehr gegen wilde Tiere verteidigen müssen. Erlebt die Mutter Stress (etwa durch den Ortswechsel ins Krankenhaus, durch Schmerzen, durch unfreundliches Personal), dann ist es für den Körper „logisch“, die Ringmuskeln um den Muttermund anzuspannen. Denn das Kind kann in einer Gefahrensituation nicht geboren werden. Für unseren Körper ist dann Kampf, Flucht oder Erstarren angesagt. Die Gebärmutter wird weniger durchblutet. Eventuell hören auch die Kontraktionen der äußeren Schicht auf. Der Angst-Spannungs-Schmerz-Zyklus kommt in Gang und verstärkt sich selbst immer mehr.

Man kann sich das Problem anhand von anderen Körperfunktionen, wie zum Beispiel der des Darms, verdeutlichen. Der Darm hat einen Ringmuskel als Verschluss (Sphinkter). Dieser öffnet sich beim Stuhlgang normalerweise problemlos, so dass der Darm sich durch peristaltische Bewegungen entleeren kann. Öffnet sich der Schließmuskel nicht (etwa wegen einer Verletzung) dann kommt es zu starken Schmerzen wenn die Peristaltik des Darms dennoch eine Leerung versucht.

Die Kontraktionen der äußeren Muskelschicht kommen schlussendlich zwar wieder, doch die Muskeln der inneren Schicht entspannen sich nicht richtig und arbeiten somit den Kontraktionen der äußeren Muskelschicht entgegen. Außerdem ist die Versorgung der Gebärmuttermuskulatur mit Blut möglicherweise mangelhaft und unterversorgte Muskeln können nicht optimal arbeiten. Dadurch entsteht zum einen Schmerz und die Geburt geht zum anderen nur langsam(er) voran. Nur wenn die ringförmigen Muskeln der Gebärmutter entspannt sind, kann die Eröffnungsphase der Geburt schmerzfrei verlaufen.

Heute weiß ich, dass Geburt nicht schmerzhaft sein muss. Ich durfte es selbst erleben <3


 

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Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft auf Deinem Weg.  – Susanne


[1] Simavli S, Gumus I, Kaygusuz I, Yildirim M, Usluogullari B, Kafali H. Effect of Music on Labor Pain Relief, Anxiety Level and Postpartum Analgesic Requirement: A Randomized Controlled Clinical Trial (2014) Gynecol Obstet Invest 78:244-250 LINK
[2] S B Hanser, S C Larson and A S O’Connell. The Effect of Music on Relaxation of Expectant Mothers During Labor. (1983) Journal of Music Therapy 20, 2 Pp. 50-58. LINK
[3] ER Cluett, VC Nikodem. Immersion in water in pregnancy, labour and birth (2002) Cochrane Database – Wiley Online Library LINK
[4] Cyna AM, McAuliffe G, Andrew MI. Hypnosis for pain relief in childbirth: a systematic review. (2004) Br J Anaesth 93:505-511. LINK
[5] Finlayson K, Downe S, Hinder S, Carr H, Spiby H, Whorwell P. Unexpected consequences: women’s experiences of a self-hypnosis intervention to help with pain relief during labour. (2015) BMC Pregnancy Childbirth. 15:229 LINK

8 Gedanken zu “Geheimnisse einer schmerzarmen Geburt: #4 Entspannung

  1. Als vierfach-Mama kann ich dem nur zustimmen und finde den Artikel sehr hilfreich und hätte dieses Wissen gerne bei meinen Geburten schon gehabt. Im nachhinein denke ich, dass mir das „hechel doch deine Schmerzen weg“ besser geholfen hätte, wenn mir jemand erklärt hätte: „Atme tief in deinen Bauch hinein. Langsam und ruhig. Spüre dabei die Entspannung, die deinen ganzen Körper durchströmt“ oder so ähnlich. Klar, im Moment des Schmerzes ist so etwas vielleicht nicht ganz so einfach umzusetzen, aber mit einer lieben Anleitung und Motivation, bestimmt gut durchführbar. Liebe Grüße – Claudia

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    1. Liebe Claudia,

      Danke für deinen lieben Kommentar :) ich hätte mir auch oft gewünscht, schon bei meiner ersten Geburt alles das gewusst zu haben. Ich hoffe, dass all diese Informationen viele Frauen erreichen und ihnen der schlimme Wehenschmerz erspart bleibt.
      Viele liebe Grüße
      Susanne

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      1. Liebe Susanne, ich denke, dass bei den heutigen „modernen“ Hebammen ein ganzheitliches Umdenken einsetzt. Ich hatte das große Glück und die Ehre, bei der Geburt von zweien meiner Enkelkinder dabei sein zu dürfen und war sehr überrascht, dass alleine die Geburtsräume so ansprechend und harmonisch gestaltet waren. Als Omi wurde ich voll in die Stunden bis zur Geburt mit einbezogen und durfte meiner Tochter „helfen“, soweit ich helfen konnte. Ja, es hat ein Wandel in den Kreissäälen stattgefunden und es wird auch mehr auf das seelisch-körperliche Wohlbefinden der Gebärenden eingegangen. Deshalb finde ich Artikel wie der deine so wahnsinnig interessant, weil eine Geburt zwar immer noch schmerzhaft ist, aber eben anders empfunden werden kann, im Gegensatz zu früher. Liebe Grüße, Claudia

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      2. Das stimmt. Es ist jetzt besser als früher. Aktionen wie die Roses Revolution zeigen aber, dass es leider noch immer (teils) unhaltbare Zustände in unseren deutschen Kreißsälen gibt. Unter anderem auch durch die Sparpolitik und Kürzungen aber auch durch zu viele unnötige Interventionen. Die allermeisten Frauen wissen leider gar nicht mehr, dass sie selbst gebären können und was die Geburt für ein wundervolles kraftgebendes Ereignis sein kann.

        Viele liebe Grüße

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