Alles zu seiner Zeit: Abnabeln

Die Nabelschnur verbindet dein Baby mit deinem Blutkreislauf. Es wird mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Außerdem werden Abfallstoffe und Kohlendioxid abtransportiert. Ist ja klar, weiß doch jeder. Deshalb hat ja auch jeder Mensch einen Bauchnabel. Und nach der Geburt? Da kann das Kind ja selbst atmen und auch bald Nahrung aufnehmen, so dass die Nabelschnur nicht mehr gebraucht wir. Auch klar… Oder?

Bei meinem ersten Sohn wurde im Krankenhaus direkt nachdem er geboren war, die Nabelschnur durchgeschnitten. Die anwesende Ärztin wollte den pH-Wert kontrollieren um einen Sauerstoffmangel auszuschließen, weil unser Sohn die Nabelschnur um den Hals gewickelt hatte. Er schrie prächtig und war auch nicht übermäßig blau, trotzdem wurde er direkt nach der Geburt abgenabelt. Ich war so geschafft von meiner Geburt, dass ich, selbst wenn ich Einwände gehabt hätteich hätte sie gar nicht äußern können, so schnell ging das. Auch meine Beleghebamme erhob (leider) keinen Einspruch. Aus heutiger Sicht würde ich das etwas anders handhaben.

Ein drittel aller Babys hat bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals, das ist also nichts Ungewöhnliches und nichts Besorgniserregendes. Leider ist es oft so, dass medizinisches Personal die Geburt schnell beenden will (zum Beispiel aus organisatorischen oder ökonomischen Gründen) und deshalb wird oftmals wird der letzten Phase der Geburt nicht genug Zeit gegeben. Dass ein verzögertes Abnabeln des Babys aber durchaus Vorteile für Mutter und Kind hat, ist durch viele Studien gezeigt worden.

Laut WHO-Richtlinien soll (außer bei akuten Notfällen in denen das Kind ärztlich versorgt werden muss), nicht sofort, sondern frühestens eine – besser drei oder mehr – Minuten nach der Geburt abgenabelt werden. Eine notwendige Untersuchung kann zum Teil auch vor dem Abnabeln geschehen, dazu muss nicht unbedingt die Nabelschnur durchtrennt werden. Am besten ist es, in dieser Phase das Baby unterhalb der Plazenta oder auf gleicher Höhe zu lassen, damit der Fluss zum Baby von der Schwerkraft unterstütz werden kann (zum Beispiel wenn Du es in der Hocke geboren hast und Dein Baby zunächst betrachten möchtest, bevor Du es aufnimmst). Und wieso das jetzt alles?

Babys haben ein sehr geringes Blutvolumen, etwa 100 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Das bedeutet also, ein Neugeborenes, das drei Kilogramm wiegt, besitzt nur etwa 300 Milliliter Blut. Bei einem Neugeboren kann das Blutvolumen, dass sich in der Nabelschnur befindet, wenn es uns auch gering vorkommen mag, also durchaus einen nicht geringen Anteil an der Blutmenge ausmachen.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass verzögertes Abnabeln (zwei bis drei Minuten bewirken da schon einen Unterschied) für einen eindeutig erhöhten Eisenwert ein paar Tage nach der Geburt sowie im Alter von vier bis sechs Monaten bewirken kann (LINKLINKLINK). Dasselbe gilt übrigens auch für Frühchen (LINK). Und im Blut, dass sich noch in der Nabelschnur, befindet (das ist ja das Blut des Babys), ist ja nicht nur Eisen, auch andere Mineralstoffe, Nährstoffe, weiße Blutzellen und natürlich Flüssigkeit unterstützen das Baby dabei „in der Welt anzukommen“. Außerdem wird das Baby auch während seiner ersten Atmezüge weiterhin mit Sauerstoff versorgt. Alles Dinge, die es nach der Geburt gut gebrauchen kann. Wie gut, das zeigt eine neue Studie: Ein vorzeitiges Abnabeln könnte sich sogar auf Feinmotorik und soziale Fähigkeiten der Kinder vier Jahre nach der Geburt auswirken (LINK).

Auch für die Mutter ist das verzögerte Abnabeln sicher (LINK) beziehungsweise sogar von Vorteil. So kommt es möglicherweise seltener zu Blutungen nach der Ablösung der Plazenta, wenn die Nabelschnur später durchtrennt wird (LINK). Es ist durchaus vorstellbar, dass durch die Nabelschnur Signale vom kindlichen an den mütterlichen Körper gesandt werden und es deshalb durch zu frühes Abnabeln zu Problemen bei der Plazenta-Ablösung kommen kann (eine gefürchtete Komplikation).

Gibt es einen Nachteil bei spätem Abnabeln? Manche Studien zeigten eine höhere Rate von behandlungsbedürftiger Neugeborenengelbsucht (LINK), die andere wiederum nicht nachweisen konnten (LINKLINK). Ein erhöhter aber nicht mit Symptomen verbundene gesteigerte Zahl von roten Blutkörperchen (Polyglobulie) wurde ebenfalls beobachtet (LINK).

Einige Eltern fragen sich, ob sie das Nabelschnurblut ihres Babys für eine eventuelle spätere Leukämie-Therapie einlagern sollten. Dazu muss die Nabelschnur sofort nach der Geburt durchtrennt werden, kann also nicht auspulsieren (denn das enthaltene Blut muss ja gewonnen werden). Ob die gewonnen Zellen später tatsächlich eine Verwendung finden, ist allerdings fraglich (LINK).

Ob zeitiges oder verzögertes Abnabeln: an der Nabelschnur sollte niemals gezogen werden. Das kann starke Blutung nach der Geburt nicht verhindern und kann möglicherweise Komplikationen auslösen (LINK).

Ein Blick in die Natur zu unseren nahen Verwandten ist übrigens in dieser Frage aufschlussreich: Bei Affen wird die Nabelschnur entweder durchgebissen oder trocknet ein. Die Plazenta wird dann hinterher geschleift bis sie irgendwann abfällt. Ganz ähnlich einer Lotusgeburt. Viele Säugetiere beißen die Nabelschnur durch und fressen Teile der Plazenta. Nur eines ist schwer vorstellbar: eine Tiermutter, die unmittelbar nachdem das Junge geboren ist, die Nabelschnur durchtrennt wenn sich noch viel Blut darin befindet. Wieso wir Menschen immer schlauer sein wollen als die Natur, darf sich jetzt jeder selbst fragen ;)

Wenn Du Dich entscheidest, im Krankenhaus Dein Baby zu bekommen, und möchtest, dass es später abgenabelt wird, dann schreibe am besten einen Geburtsplan, in dem Du Deine Wünsche und Forderungen formulierst.

Bei der Geburt meines zweiten Sohnes durften wir übrigens fasziniert beobachten wie die Nabelschnur über mehrere Minuten langsam auspulsierte während mein Sohn auf meiner Brust lag. Zuerst war sie recht prall gefüllt, kurz darauf schon weniger und schließlich war das Blut verschwunden. Wir warteten erst noch die Geburt der Plazenta ab (immer noch in der Wanne) um dann Baby und Plazenta ins Bett zu bringen, wo wir unseren Sohn dann schließlich abnabelten.


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Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft auf Deinem Weg.  – Susanne


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